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Über eine Gemeinde im tiefsten Landkreis Oschersleben
Dorf hat die Wirren der Wende überwunden
Von Heinz Ruhnke (Volksstimme vom 31.07.1993)
Gunsleben. Immerhin ist der kleine Ort Gunsleben im Großen Bruch ganze 125 Jahre älter als Berlin. Die heute 349 Einwohner feierten nämlich im September des Jahres 1987 ihr 875jähriges Bestehen, während es die Berliner damals gerade auf 700 Jahre gebracht hatten. Man erinnere sich. Da wir gerade beim Vergangenen sind, sei nicht vergessen, dass in Gunsleben im Jahre 1737 Samuel David Ludwig Henne geboren wurde, der um 1770 hier das erste deutsche Buch schrieb, das sich gründlichst mit der Anlage und Pflege von Obstbaumschulen beschäftigte und in sechzehn Jahren fünf Auflagen erreichte. Er selbst betrieb zwischen Gunsleben und Hamersleben eine Baumschule mit 15 000 Stämmchen. Dabei gelang ihm auch die Zucht von großen Haselnüssen, die später Weltgeltung erreichten. Henne war Pastor zu Hamersleben und Gunsleben im Fürstentum Halberstadt, wie aus dem Kirchenbuch und der Chronik von Gunsleben hervorgeht.
Doch zurück ins Heute. Die im Großen Bruch liegende Gemeinde, manche sagen, sie läge am tiefsten im Landkreis Oschersleben, hat nach den anfänglichen Wirren der Wende wieder zu sich gefunden. So bediente am 20. Juli 1993 Sieglinde Rahn im neueröffneten Frisörsalon an der Hauptstraße ihre erste Kundin, Irmgard Schmidtke. Klaus Albrecht, einst im LPG-Stützpunkt für Landmaschinen zuständig, hat sich mit seiner Metallbauwerkstatt, Schmiede und dem Sanitärbau selbständig gemacht. Veit und Frank Rössing widmen sich als Wiedereinrichter der Landwirtschaft. Der Vater, Siegfried, unterstützt die Söhne tatkräftig und ist außerdem als ehrenamtlicher Bürgermeister „im Amt". Gunsleben gehört zur Verwaltungsgemeinschaft Hamersleben.
Nicht vergessen darf man die von Evelyn Kasper eingerichtete Verkaufsstelle für Lebensmittel und viel andere auf dem Dorfe gefragte Waren, die sich in der ehemaligen Post befindet. Ein Segen für viele ältere Bürger, die das immer wieder betonten. Ja und dort, wo früher „Tante Junge" ihre Gastwirtschaft hatte und später dann der „Prinz" Achim Roland als Gastwirt residierte, aber aus gesundheitlichen Gründen schließen musste, richtet sich jetzt ein neuer Wirt aus Halberstadt ein. Der Eröffnungstermin steht zwar noch nicht fest, aber zu hören ist bereits davon, dass auch ein Küchenbetrieb anvisiert wird.
Da muss natürlich auch das im Park liegende Schloss mit seinem Wappen aus dem Jahre 1754 erwähnt werden und der 1891 erfolgte Anbau des Westflügels. Es wird bewohnt von drei Familien. Doch die so schöne Kindertagesstätte (einst Kindergarten und Krippe) im Schloss wurde geschlossen. Gunslebener Kinder „reisen" jetzt nach Wackersleben in eine um- und ausgebaute Kinderkombination.
Auch heute machen wieder Leute in Gunsleben von sich reden. Dietmar Buchholz, Lehrer am Oscherslebener Gymnasium, erhielt den Umweltpreis 1993 des Landkreises Oschersleben (Volksstimme berichtete) und Fritz Uehr ist unermüdlich trotz seiner gesundheitlichen Probleme als Naturschutzbeauftragter des Landkreises und als Vorstandsmitglied der Vereinigung „Stiftung Umwelt und Naturschutz Großes Bruch" e. V. tätig.
Was weniger gefallen kann ist der Bahnhof in Gunsleben, der langsam mit den dort abgestellten Güterwagen im Unkraut versinkt, denn kein Zug fährt mehr seit dem 30. Mai 1992. Und die zentrale
Mülldeponie hat zwar den Ort über den Landkreis hinaus bekannt - aber nicht beliebter gemacht, was die Einwohner betrifft.
Wer sich Gunsleben von Wackersleben her nähert, erblickt von weitem die fast 200 Jahre alte evangelische Dorfkirche mit ihrem leuchtend roten Dach, die aus der flachen Bördelandschaft ragt. Ein
Bild, das beeindruckt und manches von dem beschwichtigt, das in dem kleinen Bördedorf heute die Menschen bewegt und wovon noch viel zu sagen wäre.
Sehenswertes:
Das im unter Naturschutz stehenden Park befindliche Schloss mit dem Wappen von 1754 und der im Jahres 1891 erfolgte Anbau des Westflügels. Die evangelische Dorfkirche, erbaut von 1795 bis
1797.
Lobenswertes:
Am 17. Juli 1993 eröffnete Sieglinde Rahn an der Gunslebener Hauptstraße ein eigenes Frisörgeschäft.
Ärgerliches:
Die neue Bushaltestelle in der Ortsmitte mit Wartehäuschen und Bahnsteig würde bis 27. Juli auch vom Schienenersatzverkehr (Bus) nach langen Briefwechseln angefahren. Nunmehr hat die Reichsbahn
ab diesem Termin schon wieder die Einstellung des Verkehrs angekündigt, da angeblich nur am Bahnhof ein sicheres Ein- und Aussteigen mögich sei. Das Gegenteil ist aber der Fall.
Erbauliches:
Gunsleben erhält seit 1991 Fördermittel aus der Dorferneuerung. Viele Bürger konnten so ihre Häuser rekonstruieren. Die Gemeinde hat aus dem Fördertopf unter anderem die neue Bushaltestelle mit
finanziert. Eine weitere Förderung ist für den Bau eines Parkplatzes am Friedhof die Gestaltung des historischen Platzes an der Eiche, die Neuinstallation der Straßenbeleuchtung am westlichen
Dorfende (Bahnhof) sowie die Rekonstruktion eines größeren Wohnhauses beantragt. Die Sanierung des Dorfteiches für 1994 ist angedacht.
Sportliches:
Im Tischtennis gibt es drei Mannschaften, aber ob sie den Wettkampfbetrieb wegen der Spielerabgänge überdauern? Seit 1989 besteht eine Volkssportgruppe im Volleyball, die regelmäßig mittwochs in
Wackersleben mit Neuwegerslebenern und Wackerslebener trainiert.
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