In memoriam Fritz Uehr

Fritz Uehr verstarb am 17. Februar 1994
Fritz Uehr verstarb am 17. Februar 1994

 

Von Dietmar Buchholz

 

Das Verhältnis des Menschen zur Natur ist äußerst vielfältig und reicht vom völlig Desinteressierten über den begeisterten Schwärmer bis zum verantwortungsbewussten engagierten Naturschützer, der die Natur nicht nur als etwas einmalig Schönes erlebt und empfindet, sondern auch seine ganze Kraft, sein ganzes Wissen, seine gesamte Persönlichkeit dafür einsetzt, sie im Interesse der heute Lebenden und späterer Generationen zu erhalten. Fritz Uehr gehörte zu den zuletzt charakterisierten Menschen. Wie diese hatte er begriffen, daß die Existenz des Menschen eng mit der Natur verbunden ist und sich nur durch schonenden, pfleglichen und schützenden Umgang mit ihr realisieren läßt.

 

Dieses rationale Begreifen setzt jedoch emotionales Erleben voraus. Das von Liebe und Verantwortung gekennzeichnete Verhältnis Fritz Uehrs zur Natur hatte wohl nicht zuletzt seine Grundlagen in seiner Kindheit. Am 3. Juli 1937 geboren und aufgewachsen als Kind einer Gunsleber Kleinbauernfamilie, hatte er schon früh Kontakt zu Tieren und Pflanzen. Daß das bäuerliche Gehöft, die ehemalige und inzwischen wüst gewordene Wassermühle, weitab von Gunsleben lag, brachte es mit sich, daß Spiel und Freizeit, wann immer das Wetter es erlaubte, sich in der Natur vollzogen. Und bis zur Beendigung seiner Grundschulzeit legte er zweimal täglich den langen Weg zwischen dem elterlichen Gehöft und der Schule in Gunsleben zurück, der an einem Bach entlang führte und auf dem es zu allen Jahreszeiten viele interessante Dinge in der Natur zu beobachten gab. Eltern und verständnisvolle Lehrer beantworteten die vielen drängenden Fragen des aufgeweckten und interessierten Jungen nach den Erscheinungen in der Natur, nach den in ihr bestehenden Zusammenhängen und formten so behutsam einen naturliebenden und naturverbundenen Menschen.

 

Die sich an die Schulzeit anschließende Gärtnerlehre trug auf ihre Art sicherlich dazu bei, spezielle Kenntnisse übernatürliche Vorgänge in einem nun enger begrenzten Aufgabenfeld zu erwerben. Facharbeiter - und spätere Meisterprüfung beendeten diesen Lebensabschnitt, in dem sich das Verständnis für umfassendere und komplexere Zusammenhänge in der Natur sowie zwischen Natur und menschlicher Gesellschaft weiter entwickelte und vertiefte. Der reifende Mensch Fritz Uehr, inzwischen Leiter einer Gärtnerei in Oschersleben und Gemeindevertreter in Gunsleben, erwarb sich als eifriger und zielstrebiger Autodidakt weitere detaillierte Kenntnisse über Fauna und Flora, beschaffte sich Bücher und nahm an zahlreichen regionalen und überregionalen Tagungen naturkundlicher Thematik teil. Über der Vertiefung seines theoretischen Wissens vergaß er aber niemals die direkte Beobachtung der heimischen Tier und Pflanzenwelt. Nach Feierabend und besonders an Sonn- und Feiertagen zog es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt ins Große Bruch, jenes Niederungsgebiet, das mit seinem Heimatort Gunsleben auf vielfältige Weise eng verknüpft ist.

 

Ungezählt sind die Stunden, die er hier allen Witterungsunbillen zum Trotz verbrachte und in denen er vor allem die für das Große Bruch typische Vogelwelt beobachtete. Moped, Fernglas, Fotoapparat und wetterfeste Kleidung - das waren die Merkmale, an denen er nicht nur von den Einwohnern Gunslebens erkannt wurde. Zahlreiche Landschaftsfotos mit eigenwilliger Ausdruckskraft bezeugen, daß er auch im Genre des Fotografierens durchaus Meisterliches zuwege brachte.

Längst war er zum Naturschutzhelfer berufen worden, arbeitete aktiv im Naturschutz des Kreises Oscherslebens der damaligen DDR mit und erwarb durch kenntnisreiche, aber auch kritische Beiträge auf entsprechenden kreislichen Fachtagungen die Achtung und das Vertrauen der Naturschutzhelfer anderer Gemeinden.

 

So war es nicht verwunderlich, daß sein Wissen auch anderweitig gefragt war. Fritz Uehr referierte zu naturkundlichen Themen vor interessierten Hörern der Kreisvolkshochschule, führte Schulklassen durch das Große Bruch, um die Schüler in der unmittelbaren Natur für die Schönheit und die Reize der engeren Heimat zu begeistern, betreute Biologiestudenten der Universität Jena, die dank seiner Kenntnis ihre ornithologischen Studien vertiefen und erfolgreich abschließen konnten und wurde auch publizistisch tätig. Seine Beiträge in der „Volksstimme" gehörten schon zu DDR-Zeiten zu jenen, die interessant waren und sich einer großen Leserschaft erfreuten.

 

Als es darum ging, für den verdienstvollen, aber zu früh verstorbenen ehemaligen Kreisnaturschutzbeauftragten Erhard Rohlandt aus Wulferstedt einen geeigneten Nachfolger zu finden, fiel die Wahl folgerichtig auf Fritz Uehr, der seinem Vorgänger schon zu Lebzeiten durch sein Wissen und sein Engagement für den Naturschutz aufgefallen war und zu dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Dass Fritz Uehr danach mit Energie und Konsequenz die Geschicke des Naturschutz im Kreise leitete, beweist sein Bemühen, das in ihn gesetzte Vertrauen zu erfüllen.

 

Nach der Wende der gesellschaftlichen Verhältnisse im Jahr 1989 galt es auch für Fritz Uehr, sich den neuen Anforderungen zu stellen. Und er tat das in der für ihn typischen Art. Ruhig überlegend, gründlich analysierend, unaufdringlich und nie besserwissend, erwarb er sich das Vertrauen der Bürger von Gunsleben, die ihn als Mitglied der DBD mit großer Mehrheit im Rahmen der ersten freien Kommunalwahl zum Bürgermeister wählten. Trotz des nun umfangreicher gewordenen Aufgabenfeldes verlor er den Naturschutz nicht aus dem Blickfeld, blieb weiter Kreisnaturschutzbeauftragter und erwarb sich 1990 als Gründungsmitglied der Vereinigung „Stiftung Umwelt - und Naturschutz Großes Bruch e.V." bleibende Verdienste für die Erhaltung dieses ökologisch und landeskulturell besonders wertvollen Gebietes.

 

Zunehmend machte ihm jedoch seine Gesundheit zu schaffen. Eine schleichende und heimtückische Krankheit bewirkte eine ständige Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Dieses und sich häufende Querelen in der Gemeindevertretung Gunslebens ließen ihn vom Posten des Bürgermeisters zurücktreten.

Eine inzwischen unaufschiebbar gewordene Beinamputation fesselte ihn monatelang ans Krankenbett. Die Zeit des Krankenhausaufenthalts bewies ihm einmal mehr seinen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad. Zahlreiche Freunde aus Jagd und Naturschutz besuchten ihn ebenso gerne wie Familienangehörige, Verwandte und Bekannte, um ihm Mut und Zuversicht zuzusprechen. Sein ungebrochener Lebensmut sowie die Kunst der Ärzte und die Pflege der Schwestern bewirkten, dass er, obwohl nun schwerbeschädigt, allen Widrigkeiten zum Trotz das Krankenhaus wieder verlassen konnte.

 

Und tastend, schrittweise, aber trotz auftretender Rückschläge niemals aufgebend, versuchte er, mit den neuen Lebensumständen zurechtzukommen. Er nahm wieder Anteil am Leben, zog, inzwischen für die CDU, als Nachfolgekandidat in den Kreistag ein und setzte sich engagiert wie eh und je für den Naturschutz ein. Die publizistische Tätigkeit füllte noch mehr Zeit aus, über die er ja nun ausreichend verfügte. Verstärkt wandte er sich auch historischen Themen zu und schrieb als freier Mitabeiter der „Volksstimme" interessant und fesselnd über die Geschichte der engeren Heimat. Inzwischen war er auch Redaktionsmitglied und Autor der Heimatzeitschrift „Zwischen Bode und Lappwald" geworden, die im Zusammenhang mit der Bildung des Bördekreises in „Börde, Bode und Lappwald" umbenannt worden war.

 

Als sich alles für ihn zu harmonisieren begann, als er trotz seiner Behinderung wieder Freude und Sinn am Leben empfand und dieses tatkräftig gestalten wollte, geschah das Unfassbare.

Am 17. Februar 1994 setzte ein Herzinfarkt dem Leben dieses unermüdlichen Kämpfers und Mahners für den Naturschutz ein jähes und viel zu frühes Ende. Betrachten wir alle, die ihn kannten und schätzten, sein Wirken und seine Worte als Verpflichtung für unser Tun und Handeln gegenüber der einmaligen Natur - ganz ir Sinne von Fritz Uehr. Die Lücke, die er hinterlässt, wird nur schwer zu schließen sein.