Allerlei schönes aus meiner „alten Heimat“
Kindheitserinnerungen von Peter Gehlmann
Viele, viele Jahre – fast schon zu viele – hat für mich mein alter Heimatort in meinem Herzen und auch in meinem Sinn kaum noch eine Rolle gespielt. Dann wurde ich im Sommer 2010 zum 50-jährigen Jubiläum des Sportvereins eingeladen – das war für mich mehr als nur ein bisschen beeindruckend. Und die dortigen Gespräche haben mich in meiner Absicht bestärkt, meine Kinder- und Jugendjahre in Gunsleben einmal in Worte zu fassen, zumal im Jahr 2012 das 900-jährige Dorfjubiläum ins Haus stand.
Nicht arm, nicht reich - aber immer satt
Ich wurde am 29. Mai 1941 als einziges Kind von Richard Gehlmann und Ehefrau Hilde, geborene Loof, auf dem Fasanenberg geboren. Mein Vater war durch den Reicharbeitsdienst (RAD) nach Gunsleben gekommen, nach seinen Aussagen hat er sich gleich in das Dorf und wenig später in Hilde Loof verliebt. Sie war die älteste Tochter von Schuhmacher Albert Loof und Ehefrau Agnes, ihre Schwestern Elsbeth (später verheiratete Herse) und Herta (später verheirate Tondera – Schwägerin von Paul und Edith Tondera). Oma und Opa Loof wohnten im Doppelhaus auf dem Fasanenberg Nr. 31 in der oberen Etage. Da mein Vater aber im Krieg war, lebte meine Mutter bei ihren Eltern – so wurde ich ein „Fasanenkind“. Vielleicht kommt daher meine Liebe zu diesen imponierenden Tieren, die ich später oft in den kleinen Wiesen am Bahndamm angetroffen habe. Wohlbehütet wuchs ich auf – nicht arm, nicht reich – aber wohl immer satt. Ob ich mich wirklich an Kriegsereignisse erinnern kann, wage ich selbst zu bezweifeln. Vielleicht „kenne“ ich die Begebenheiten nur, weil wir später oft darüber gesprochen haben.
Die letzten Kriegstage
1945 gab es oft Fliegeralarm – die „Kasse“ mit wichtigen Papieren stand immer griffbereit. Flugs ging es in den Keller. Im April 1945 hielt hinter dem Bahnhof Richtung Jerxheim ein Frontzug mit Schokolde und Butter. Er fuhr nicht weiter, weil die Front wohl nicht mehr erreichbar war oder schon gar nicht mehr existierte. Die Einwohner begaben sich auf den Plünderungszug – wir nach einigen Tagen auch. Opa Loof war nicht gerade ein ganz Mutiger – aber es war noch immer genügend da. Später erzählte mir meine Mutter, dass es in der Folgezeit immer wieder Kuchen gab, der mit viel Butter und Schokolade zubereitet war......
Als die Amerikaner das Dorf besetzten, waren im Dorf zwei Panzersperren errichtet worden. Die eine befand sich an der Beekbrücke gegenüber der "Kaiser-Villa". Die
andere war kurz vor der alten Eiche gegenüber dem Nebengelass der Gaststätte "Deutsches Haus" (Frieda Junge) erbaut worden.
Mein Vater kam bald aus dem Krieg zurück, unverletzt, aber mit einer Krankheit im Inneren, die später leider unser gesamtes Familienleben prägte. Wir zogen in das
Wohnhaus gegenüber vom Bahnhof, dort wohnte auch Familie Ningler, mit deren Söhnen ich viele Stunden meiner Kindheit verbrachte. Mein Vater fand eine Anstellung bei der Bahn, Opa Loof hatte
längst seine Schusterei aufgegeben und war nunmehr auf dem Stellwerk GOF (Gunsleben Ost Fahrdienstleiter) beschäftigt.
1947 wurde ich eingeschult, Lehrer August Holburg war nunmehr der erste Mann in meinem Leben. Unser Klassenraum befand sich im Gebäude Oberere Bergstraße Nr. 28, der
Eingang erfolgte durch einen Vorbau. In der gleichen Etage wohnte der Lehrer, der durch ein Türloch unser Treiben beobachtete. Zur Schule gehörte auch das
Gebäude Obere Bergstraße in dem später die Gemeindeverwaltung zu Hause war. Zu meiner Einschulung gab es Reisbrei zum Mittag, damals wohl etwas Besonderes. Ich erinnere mich zudem an
Schiefertafel und Schwamm.
Außerschulisch waren spielen und andere Arbeiten angesagt.
Zum Sommerabschluss wurde das Getreide geerntet. Wir hatten zwei Morgen Acker an der alten Feldeiche Richtung Neuwegersleben. Nach der Ernte wurde gestoppelt, das heißt, Ehren wurden gesammelt. Viel Spaß hat es mir nicht gemacht, aber es half alles nichts, Opa Loof hat sich durchgesetzt. Später bei der Kartoffelernte war etwas etwas schöner, weil vom Kraut ein Feuerchen entfacht wurde und dort Kartoffeln geröstet wurden. Doch auch hier wurde gestoppelt. Oft musste ich im Frühjahr, Sommer oder Herbst mit zum Schrebergarten, der sich am ersten Weg hinter dem Friedhof befand. Spargel wurde angebaut, auch Kartoffeln und Futterrüben. Auch Erdbeeren, Himbeeren und Brauner Kohl wurden geerntet. Am Wegesrand standen Stachel- und Johannisbeeren, dazu kamen Apfel- und Birnbäume. Auch eine kleine Laube war vorhanden, doch sie konnte nicht zum Ausruhen genutzt werden. Gartengerätewaren dort abgestellt. Wenn gegraben werden musste, versuchte ich mich immer zu drücken. Gehasst habe ich die Fuhren mit Mist, die mit dem Handwagen vorgenommen werden mussten.
Im Herbst waren wir an der Straße Richtung Aderstedt unterwegs, Apfelernte stand auf dem Programm. Zumeist haben wir Falläpfel gesammelt, aber auch in die oberen Regionen sind wir vorgedrungen und haben die Äpfel gepflückt. Einmal erwischte uns der Pächter, wir mussten alles abliefern und dazu noch einen Sack Äpfel voll sammeln und abgeben. Im Spätherbst waren wir bei der Zuckerrübenernte aktiv. Wir sammelten die von den Wagen heruntergefallenen Rüben auf – zu Hause bei Oma Loof in der Waschküche wurde Rübensaft gekocht. Hmm, das duftete.....
Eine schöne Angelegenheit war das "Kirschenklauen"
Eine schöne Angelegenheit für uns Kinder war das "Kirschenklauen" – dafür ging es zumeist in die Sandkuhle. Am Sportplatzhang standen herrliche Süßkirschen. Mundraub war eigentlich schon damals verboten, doch manchmal brachen wir auch Äste ab. Einmal wurden wir erwischt, der Pächter zog uns mitten auf den Sportplatz und knallte unsere Köpfe zusammen. Ich glaube, es war uns eine Lehre.
Gespielt haben wir oft auf dem Kirchhof. "Pui, Pui" und "Barlauf" sind mir noch in Erinnerung. Oft saßen wir auch auf der Mauer, die aus Sandstein bestand. Mehrfach haben wir unseren Namen eingeritzt – und auch den Namen der heimlichen Liebe. Unterhalb der Mauer gab es eine größere freie Fläche. Dort wurde Fußball gespielt. Einmal hatte ich einen kleinen Gummiball zum Geburtstag geschenkt bekommen – ich war der König unter den Jungs. Eigentlich durfte ich gar nicht Fußball spielen – Opa Loof war ja Schuster und gute Schuhe waren Mangelware. So verwunderte es nicht, dass wohl alle Kinder im Sommer barfuß liefen. Fußball haben wir auch auf der anderen Seite auf dem freien Platz vor dem Gutshof Günter gebolzt.
Im Winter wurde auf den überschwemmten und dann zugefrorenen Wiesen Eishockey gespielt. Besonders die große Wiese neben den Bahngleisen (Gleis 6) in Richtung Speicher war ein regelrechter Tummelplatz. Die Schlittschuhe waren nicht gerade super, immer wieder gingen die Drehverschlüsse auf und ab. Und wer keine Schlittschuhe hatte, musste ins Tor. Eishockey spielten wir manchmal auch auf dem Dorfteich namens Paul. Dieser war damals übrigens fast doppelt so groß wie heute. Im Winter wurde auch gerodelt. Dafür wurde der Pavillon im Park genutzt, für Experten außen rum in Richtung Dorf und dann in großer Kurve an der großen Kastanie vorbei bis auf den Schulhof. Die Kleinen nahmen den Weg gerade runter zum Spitzturm des Schlosses. Eine schöne Rodelstrecke war auch der sogenannte Papenberg von Rössing bis runter zur Mühle von Walter Schaper.
Fußballspielen war schon immer meine Welt
Meine besten Spielkameraden waren Lothar "Katze" Pokatzki und Karl-Heinz "Appi" Appel. Weitere Spielkameraden waren Inge
Schmidt, Helmut Kasper, Erwin „Ete“ Jana, Heiko Bruns, Bernd „Ningel“ Junge, Herbert Schinke ("Schinken-Herbertl“), Hannfried "Fiete" Buchholz und Reiner „Heia“ Busch.
Am Beek in Richtung Großer Graben hatte ich mit "Katze" und "Appi" eine wunderbare Baumbutze gebaut, mit Dach, Strickleiter und einem Vorrat an Äpfeln, die wir in den beidseitig gelegenen Gärten am Ende der Backtwete geklaut hatten. Manchmal probierten wir es auch im Garten von Familie Günter, doch da war Betreten verboten. Ich erinnere mich noch an den kleinen Pavillon im Günterschen Garten.
Im Sommer trafen sich viele Kinder in der Lehmkuhle zum Schwimmen. Das Wasser war gelb vom Lehm. Schwimmen habe ich dort übrigens nicht gelernt, auch später nicht im Nebengraben, der uns dann als Badestelle diente.
Fußballspielen war schon immer meine Welt. Das lag auch an Lehrer Deutsch aus Oschersleben, der mit uns sonnabends statt zum Unterricht zum Fußball ging.
Gunsleben hatte auch eine eigene Fußballmannschaft. Hans Rahn (mit krankem Arm) war der beste Spieler, gefallen haben mir auch Werner Bögelsack, Erich Japke, Torhüter Erhard (mit elf Fingern) und
Peter "Penno" Günter (vom dem ich auch meinen Spitznamen "Penno" erhielt). Später machte Achim "Prinz" Roland auf mich den stärksten Eindruck. Oft erzählte ich mit Onkel "Fritze" Schünemann, er
war auch der Friedhofswärter. Er kannte die Oberligatabelle auswendig – und zumeist auch alle Aufstellungen. Wen wundert es, dass ich das auch bald kannte.
Als ich älter geworden war, spielte ich sehr oft mit Wolfgang Kabel. Er wohnte im Gunsleber Schloss und war technisch ein Experte. So gelang uns sogar eine Telefonverbindung in meine neue Wohnung
Oberere Bergstraße 28. In diese waren wir gezogen, weil mein Vater längst Invalidenrentner geworden war und wir mit dem urzeitähnlichem Rollstuhl reinfahren mussten.
Es war – wie damals üblich – eine Wohnung ohne Wasserleitung. In der Küche standen zwei Eimer, einer für Regenwasser (aus dem Bassin auf dem Hof) zum Waschen, einer mit Pumpenwasser (vom Hof) für
das Kochen. Hinter dem Stallgebäude befanden sich für drei Familien zwei Plumsklos. Mit uns wohnten dort anfangs Familie Geffers (Bürgermeister), unten Familie Hermann Strebe. Später zogen meine
Großeltern in die obere Wohnung, dort hatte ich auch in einem abgeteilten Raum mein „Kinderzimmer“. Anfangs habe ich im Schlafzimmer meiner Eltern übernachtet.
....und unterm Bett das Töpfchen
Als mein Vater Invalidenrentner wurde und mehrere Jahre im Krankenhaus Neindorf lag, wohnten wir wieder bei Oma und Opa auf dem Fasanenberg. Die Wohnung in der oberen Etage - unten wohnte
Familie Rückewoldt - bestand aus Wohnküche, Stube, Schlafzimmer und Abstellraum. Dazu kamen ein Keller und zwei Ställe. Die Stube wurde nicht genutzt, hier schlief meine Mutter. Mein Bett befand
sich im Schlafzimmer von Oma und Opa. Das war normal und in keiner Weise anstößig. Unter dem Bett – das Töpfchen, dass alle benutzt haben.
Aufenthaltsraum war die Küche. Hier stand ein Herd und in der Ecke eine Grude, die für schöne Wärme sorgte. Wasserleitung? - Fehlanzeige. Dafür gab es auf dem Hof – übrigens nur zehn
Meter vom Mist entfernt – einen tiefen Brunnen und am Haus Dachrinnen für das Regenwasser.
Der Hof – genutzt auch von den Bewohnern der anderen Haushälfte, Familie Schlegel, war ein wichtiger Aufenthaltsort. Vor der Treppe stand eine Bank, eigentlich war es nur eine alte Bahnschwelle, die mein Opa irgendwoher besorgt hatte. Dort saßen wir oft, besonders in den Abendstunden. Die Hühner scharrten auf dem Mist, Unkrautstellen waren längst verschwunden. Ab und an wurde ein Huhn für die Suppe oder den Sonntagsbraten gebraucht. Den Kopf auf den Hackeklotz – ein gezielter Hieb mit dem Beil – das war es meistens, denn die Nerven des Tieres waren noch intakt. So plusterte das Huhn noch über den halben Hof, bevor es gänzlich verendete.
Im Frühjahr sprangen die lustigen Ziegenlämmer mit ihren wunderschönen Glöckchen am Hals auf dem Hof umher. Sie wurden in kürzester Zeit richtige Lieblinge von uns. Aber plötzlich waren sie verschwunden - Oma Loof sagte etwas traurig, dass sie wohl weggelaufen seien. Dabei waren sie am Abend vorher geschlachtet worden. Die Ziegen wurden abends gemolken. Ziegenmilch schmeckte mir nicht – aber, was half es.
Um die Weihnachtszeit wurde auch eine Gans geschlachtet. Es war schaurig, wenn die Oma dem Tier das Messer von oben in den Kopf stach. Ich hatte mich längst an die Tiere gewöhnt, wenn ich ihre Kindheit auch oft verfluchte. Nachmittags war nämlich Gösselhüten angesagt. Wenn andere spielten, musste ich mit dem Federvieh zum Gänseanger hinter Schapers Garten – ein Graus.
Ein Spektakel war das Schlachtefest
Ein Spektakel war auch immer das Schweine-Schlachtefest. Oft schaute ich beim Füttern zu – und freute mich, wenn Oma mir eine Schweinekartoffel gab. Dann wurden die Kartoffeln gestampft – ein herrlicher Duft. Beim Schlachtefest mit Schlachter Fritz "Kaiser" Roland konnte ich wenig helfen. Abends musste ich dann aber „Wurschtesuppe“ bzw. Fleischbrühe austragen, oftmals mit einem Stück Stichfleisch versehen. Dafür gab es manchmal auch einen Lohn von den Empfängern, selten mehr als zehn Pfennig. In den Folgetagen war das Essen reichlich fettig – igittigit: Grämen wurden serviert mit Pellkartoffeln.
In der guten Stube roch es dafür phantastisch. Die Wurst – wenn sie dann aus dem Rauch im Keller kam – wurde aufgehängt. Wir hatten auch eine eigene Räucherkammer.
Trotz allem musste gespart werden, denn die Vorräte mussten über den Winter reichen. Wer schlachtete, bekam nämlich eine gesonderte (beschränkte) Lebensmittelkarte. Trotzdem – gehungert haben die
Bewohner des Dorfes kaum. Viele hatten wie wir einen Schrebergarten und zwei Morgen Land. So blieben immer Nahrungsmittel über, auch, um sie als Tauschprodukt für die Städter zu besitzen. Diese
kamen in Scharen mit dem Zug und tauschten Kartoffeln gegen Teppiche – eine schlimme Zeit.
Geprägt wurde die Zeit nach dem Krieg auch von den vielen Grenzgängern, die mit dem Zug kamen und zu Fuß über die noch teilweise offene Grenze in die englisch besetzte Zone nach Jerxheim wollten. Auch hier waren es besondere Tauschobjekte wie z.B. Kartoffeln und Eier gegen Hering und anderes. Wir Kinder kannten die Schleichwege und verdingten uns oft als Grenzgänger bzw. Schleuser durch die Aue. Knapp waren vor allem Brennstoffe. So entschlossen sich meine Großeltern, am Großen Graben Richtung Westen heimlich einen Baum zu fällen. Er wurde dort aufgearbeitet und in einzelnen Stücken mit dem Handwagen nach Hause gebracht. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine lohnenswerte Begebenheit. Beim Spielen hinter dem Speicher fanden wir einen Haufen Kohlen, die der Lokführer beim Umsetzen seiner Lokomotive runtergeworfen hatte. Für wen, haben wir nicht erfahren. Aber mehrere Tage täglich zwei oder drei Kohlen haben wir schon entwendet.
Zu Gast bei Gretchen "Goldzahn"
Als ich dem Kindesalter entwachsen war, weilte ich oft im „Wohnzimmer“ von Gretchen Fricke. Sie war die Wirtin der Bahnhofsgaststätte, ein äußerst gemütlicher Raum hinter dem Warteraum. Dort haben wir schönste Stunden verlebt. Bei Gretchen "Goldzahn", wie sie in Gunsleben oft genannt wurde, waren wir immer gern gesehene Gäste. Den Raum kannte ich schon von früher, denn Opa Loof hatte so monatlich ein Dürstchen, dann kam er von der Frühschicht nicht nach Hause und ich sollte ihn holen. Doch das machte ihn fuchsteufelswild – und der spätere Krach mit Oma Loof war vorprogrammiert.
Hinter dem Fahrkartenschalter, der sich im Flur befand (davor ein ovaler Tisch), arbeitete der Bahnangestellte. Erinnern kann ich mich an Herrn Kleinert, der mit dem Fahrrad aus Aderstedt zur
Arbeit kam, obwohl er nur einen Arm hatte. Bahnhofsvorsteher war Herr König, der später dieses Amt auch im Bahnhof Oschersleben bekleidete. Familie König wohnte im Obergeschoss des
Bahnhofsgebäudes. Hinter dem Dienstzimmer befand sich der große Lagerraum. Er konnte über eine Rampe befahren werden, aber auch von vorn war eine Belieferung möglich.
Die Straße ging zum sogenannten Holzhof, vorbei an einem kleinen Wiege-Häuschen. Dahinter befand sich ein kleiner Garten. Gemunkelt wurde, dass dort ein Toter zum Kriegsende beigesetzt worden
war. In dem Holzhof wohnte Familie Manke.
Fußmarsch auf dem Schienenstrang
Noch etwas weiter nach Westen stand das Stellwerk GW (Gunsleben West). Es war nicht besetzt, bis hier fuhr die Lok zum Umspannen. Das andere Stellwerk GOF war dagegen von morgens etwa 4 Uhr bis abends gegen 20 Uhr besetzt. In dem gesamten Gebäude roch es nach Karbid und Oel. Oben waren die großen Hebel für die Weichen installiert, die mit großer Kraftanstrengung betätigt werden mussten. Telefon gab es nicht, alle Informationen kamen per Morsegerät an – beispielsweise die Abfahrt des Zuges ab Neuwegersleben. Zur Tätigkeit gehörte auch die Bedienung der Schranken am Bahnhof sowie an der Backtwete. Die Lampen für die Signale mussten dagegen manuell jeden Morgen und jeden Abend per Hand installiert werden, ein schöner Fußmarsch.
Der Zug kam auf Gleis 6 (ganz rechts) an. Dann setzte die Lok um. Die Waggons für die Zuckerfabrik Aderstedt wurden dabei gesondert abgestellt und mit einer kleinen Sonderlokomotive in einem weiten Bogen in den Nachbarort transportiert. Der Zug nach Neuwegersleben war nicht gerade schnell, er benötigte über zehn Minuten für die etwa fünf Kilometer. Die Kinder des Dorfes nutzten ihn wie viele Arbeiter täglich, denn ab der 5. Klasse besuchten wir die Zentralschule in Neuwegersleben. Und wenn der Unterricht mal ausfiel, machten wir uns zu Fuß auf den Weg, übrigens kunstvoll immer auf den Schienen balancierend. Das Gehen auf den Schwellen war anstrengend und der Weg neben dem Bahnkörper war seinerzeit nicht vorhanden oder schwer begehbar. Vorbei ging es an den Buden 35 und 34, die genau wie Bude 33 kurz vor Gunsleben nicht besetzt war. Wir kehrten oft ein, kannten jeden Stein. Am Bahnübergang Zickzack gingen wir ins Dorf, dann trennten sich die Schülerwege.
1964: Abschied von Gunsleben
Im 7. Schuljahr gab es einen Wechsel des Schulstandortes, nunmehr besuchten wir die Zentralschule im Gunsleber Schloss. Ich erinnere mich noch gut an die Lehrer, die uns auf dem Weg ins weitere
Leben begleitet haben: Herr Kuttig, Herr Schmidt, Herr Fricke, Fräulein von Smuda, Herr Deutsch.
1955 wurden wir konfirmiert, Pfarrer war Hans-Joachim Borchert. An dieses Ereignis denke ich übrigens noch heute: Ich hatte dem Alkohol zugesprochen, war kein Mensch mehr … aber es schmeckt mir
hin und wieder heute noch - fast so, wie seinerzeit meinem Opa Loof.
Ein Geschenk habe ich übrigens bis in mein Rentenalter genutzt und behalten: Von Tante Herta und Onkel Gerhard Tondera bekam ich eine Lederschultasche geschenkt, die ich all die Jahre als Lehrer
in meinem seit 1964 neuen Heimatort Hüttenrode genutzt habe. Oft waren aber keine Schulbücher der Inhalt, sondern Schriftstücke für den Fußball, denn seit meinem Einzug in Hüttenrode bin ich
Sektionsleiter Fußball des hiesigen Sportvereins.
Mehrfach kreuzten wir übrigens auch mit den Kickern aus Gunsleben die Klingen, sprich die Schuhe. Voller Stolz habe ich meinen Sportfreunden dann das „Sandkuhlenstadion“ in Gunsleben gezeigt. Der Sportplatz liegt außerhalb des Dorfes, eingebettet in Hänge – wie ein kleines Stadion. Die Grundlage für diesen Sportplatz hatte etwa 1937 der Reicharbeitsdienst gelegt. Doch der Platz war reichlich kurz. So kann ich mich erinnern, dass in den 1960er Jahren an eine Erweiterung gedacht wurde, ein hinter dem Tor liegender Felsen sollte entfernt werden. So richtig gelungen ist das aber nie. Nach der Wende musste der Sportplatz leider einer riesigen Mülldeponie weichen. Traurig, traurig!
Das solls erstmal gewesen sein
So, das soll es erst einmal gewesen sein. Fortsetzungen, Berichtigungen und Ergänzungen sind nicht nur zwingend erforderlich, sondern auch erwünscht und angebracht. Meine Erinnerungen und Gedanken sollen keine Chronik sein – auch kann ich nicht versprechen, dass alles so stimmt. Und die Reihenfolge ist schon gar nicht gewährleistet. Beim Schreiben aber habe ich die Bilder aus Gunsleben ganz dicht vor meinen Augen gesehen – und ich habe meine Erinnerungen sehr, sehr gern zu Papier gebracht.
Möge das kleine Dörfchen noch lange Bestand haben –
in meinen Erinnerungen wird es ganz gewiss bleiben.